Kadett

Mein Oppa fuhr immer nur Bochumer Autos und tankte nur Bochumer Benzin. Etwas anderes als ein Kadett kam ihm nicht unter den Hintern, und in den Tank gehörte Aral. Er war fest davon überzeugt, dass dem Motor mit Shell, Esso oder Texaco irreparabler Schaden zugefügt würde. Das lehre doch das Leben ganz allgemein: »Durchenander saufen ist immer schlecht!«

Oppas erster Kadett war schneeweiß mit Fließheck, innen Kunstleder. Er stand in der Garage der Aral-Tankstelle Fey an der Alleestraße. Am Wochenende wurde er hervorgeholt und dann ging es zu Ausflügen ins Münsterland oder zum Einkaufen nach Winterswijk in Holland, wo die Zigaretten so billig waren. Bevor es losging, ließ mein Oppa aber erst mal den Wagen in der Garage fünf Minuten »warmlaufen«. Nein, es handelte sich nicht um einen Diesel. »Die Flüssigkeiten müssen erst die richtige Temperatur haben und sich überall verteilen«, meinte Oppa. Warmlaufenlassen, das war eine Glaubensfrage, und Oppa war da sehr religiös.

Es mag 1973 oder 74 gewesen sein, da überließ Oppa den schneeweißen Kadett bereits meinen Eltern, die im jugendlichen Übermut die Motorhaube und den Kofferraum schwarz lackieren ließen, sodass der Wagen aussah, als würde er bei Paris-Dakar mitmachen.

Oppa legte sich ein grasgrünes Modell mit schmalen, schwarzen Streifen an der Seite zu und damit ging es auf die legendären Urlaubsfahrten nach Österreich, in deren Verlauf ich geräuchert wurde wie ein Landjäger, da mein Oppa zwar eine Lord Extra nach der nächsten wegperzte, offenbar aber unter einer schlimmen Sauerstoffallergie litt, die es ihm verbot, das Fenster auch nur einen Spalt breit zu öffnen. Außerdem klebten in der Sommerhitze meine kurzbehosten Oberschenkel ständig am Kunstleder der Rückbank fest. Um den Genuss zu steigern, wartete ich, bis sie richtig festgepappt waren, und riss sie dann mit einem fiesen Geräusch ruckartig hoch.

In Österreich angekommen, bezogen wir ein Basiscamp in einer Pension in Bregenz am Bodensee und ließen uns vom Kadett das schöne Vorarlberg zeigen. Auch die Schweiz bis hin zum San Bernardino, aber immer nur so weit, dass noch eine Aral-Tankstelle in Reichweite war.

Wie tief und persönlich die Beziehung meines Oppas zu seinem Auto war, erkannte ich, als wir ebendort, auf dem San-Bernardino-Pass, eine Panne hatten. Der Motor ging aus, der Kadett rollte gerade noch auf den Seitenstreifen und sagte keinen Ton mehr.

Oppa blickte zu mir auf die Rückbank, als sei ich schuld. Zum Glück konnte er mich durch die dichten Nikotinschwaden kaum sehen. Denn mich plagte tatsächlich ein schlechtes Gewissen. Ich hatte unreine, antikadettische, antiaralische Gedanken gehabt. Vorhin waren wir an einer Agip-Tankstelle vorbeigekommen, und mir war durch den Kopf geschossen: Da könnte man doch auch mal tanken! Nur fünf Minuten später hatte der sensible Mechanismus offenbar beleidigt aufgegeben.

Oppa versuchte noch ein paarmal, den Wagen wieder zu starten, und als sich nichts tat, befahl er uns auszusteigen.

Hatte ich gedacht, Oppa würde nun die Motorhaube öffnen, die Kabel überprüfen, an Kontakten rütteln oder den Ölstand checken, hatte ich mich getäuscht. Er ging neben dem Wagen in die Hocke, legte eine Hand auf den vorderen rechten Kotflügel und sagte leise, fast zärtlich: »Hömma, kannze nich machen! Wir sind doch Kumpel. Hamm so viel durchgemacht. Dat schaffenwa auch noch. Is nich mehr weit, dann kannze ausruhen. Da fahrn wir irgendwo rechts ran, und dann machenwa Pause und du krichs schön Aral zu trinken. Watt hälze davon?«

Omma raunte mir zu: »Als er dat letzte Mal mit mir so gesprochen hat, war ich zehn Minuten später mit deine Mutter schwanger!«

Oppa klopfte dem Kadett noch mal begütigend aufs Blech, wir stiegen wieder ein, Oppa drehte gefühlvoll den Zündschlüssel - und zwei Stunden später wurden wir ins nächste Dorf geschleppt.

Der Beziehung meines Oppas zu seinem Auto tat das keinen Abbruch. Noch nach zehn Jahren sah der Wagen aus wie frisch vom Band, während der meiner Eltern von einem Motorbrand dahingerafft wurde, was Oppa mit den Worten kommentierte: » Na SO warm musse ihn auch nich laufen lassen!«

Als ich endlich meinen Führerschein hatte und meinen Oppa mal fragte, ob er mir seinen Wagen leihen könne, es gehe um eine sehr wichtige, erotischen Erfolg versprechende Verabredung mit einer Frau in Krefeld, erlitt er seinen ersten Lachanfall seit Kriegsende. »Und übbahaupt: Watt willze denn in Krefeld? Gibbet bei uns keine Frauen? Anne Aral Königsallee, da is sonne kleine Rote, da hättesse zwei Fliegen mit eine Klappe! Kannz einen wegstecken und kriss auno Tankgutscheine, weisse?«

Über die Jahre gingen eine Reihe mehr oder weniger baufällige Autos durch meine Hände. Eines davon war ein roter Kadett mit Heckklappe, und ich kann stolz sagen: Das ist der Wagen, der mir buchstäblich unterm Arsch zusammengehrochen ist. Es war an einem regnerischen Novembermorgen. Ich kam von meiner damaligen Lebensbegleiterin und fuhr die Hofsteder-Straße hinunter zur Herner, als es plötzlich laut und vernehmlich »KLONG!« machte und mir die Kontrolle über den Wagen zu entgleiten drohte. Ich lenkte ihn halb auf den Bürgersteig, wobei Metall sich panisch kreischend an Asphalt rieb, stieg aus und musste feststellen, dass die Hauptantriebswelle am vorderen Ende abgefallen war! Für einen Abschleppdienst hatte ich kein Geld, Kumpels waren um diese Tageszeit nicht zu erreichen, also rief ich meinen pensionierten Oppa an. Mit einem lahmen Kadett musste er doch Mitleid haben!

Oppa betrachtete mein Werk, rieb sich die Bartstoppeln am Kinn und fragte: »Watt hasse denn zuletzt getankt?«

Schuldbewusst gab ich zu, aus Kostengründen erst gestern an einer Freien Tankstelle Halt gemacht zu haben.

Oppa schüttelte den Kopf und meinte: »Durchenander saufen, und dann au noch billigen Fusel! Da kannze au gleich Maggi in die Kiste kippen!«

Mit mühsam befestigten Gepäckspinnen (!) banden wir die Antriebswelle dann so hoch, dass sie nicht mehr über den Boden schleifte, und schleppten den Wagen zur nächsten Autoverwertung. Oppas letzter Rat in Kfz-Angelegenheiten an mich: »Kauf dir wat, womitte umgehen kannz!«

Einen Kadett habe ich mir jedoch nie wieder angeschafft. Ich fühlte mich dieser Aufgabe einfach nicht gewachsen.

 

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